Zu der Veranstaltung im Haus am Dom hatten die Organisationen aufgerufen, die das Forderungspapier „Demokratie stärken – Rassismus bekämpfen“ erarbeitet und an die Landesregierung gerichtet hatten. In diesem Forderungspapier wird das Verhalten der Polizei als Teil des Problems dargestellt. Wir NaturFreunde arbeiten in diesem Bündnis aktiv mit und waren auch in dem vierköpfigen Team, das die Veranstaltung organisiert hat. Wir alle sind fassungslos über Polizei-Chatgruppen mit rassistischen und menschenverachtenden Inhalten, die Verwicklung in NSU 2.0 und die mangelnde Aufklärungsbereitschaft bei den Hanauer Morden.
Dank an die Moderatorin Dr. Carmen Colinas vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, Seda Başay-Yıldız, die im Prozess gegen den NSU die Familie von Enver Şimşek vertreten hat sowie Dr. Reiner Becker, Demokratiezentrum Hessen und Mitglied der Expertenkommission zur Verantwortung der Polizei. Dank auch an alle, die im Hintergrund die Veranstaltung möglich gemacht haben.
Alexander Bauer, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und Felix Paschek, Leiter der Stabsstelle Fehler- und Führungskultur im hessischen Innenministerium wurden dazu befragt, ob und welche Maßnahmen ergriffen wurden, um die unerträglichen Übergriffe von Angehörigen des Polizeiapparats zu ahnden und künftig zu verhindern.
Kurz vorher hatte ich das sehr empfehlenswerte Buch von Petra Morsbach "Der Elefant im Zimmer" gelesen. Darin analysiert die Autorin anhand von drei Fällen aus Kirche, Politik und Kulturbetrieb, wie die Mächtigen Verstöße gegen ihre ureigene Ethik vertuschen, verschleiern, nivellieren, für nicht geschehen erklären, und wie die Unmächtigen, die auf die Verstöße aufmerksam machen, ignoriert oder gar ausgegrenzt werden.
Die Veranstaltung, von der ich hier berichte, war eine Veranstaltung, bei der die Unmächtigen das Heft in der Hand hatten. Ohne diese Menschen, die zwar in der Minderheit, aber glücklicherweise stellenweise durchaus laut sind, bleiben die zweifellos ausgezeichneten Regeln des demokratischen Staates ein Papiertiger, der von den Mächtigen in ihrem Sinne dressiert wird. Deshalb noch einmal danke, auch an alle, die sich aus dem Publikum zu Wort gemeldet haben und zeigten, dass wir menschenfeindliche Praktiken von Polizist*innen nicht dulden, sondern ans Licht bringen werden.
Hier nun ein paar Kostproben aus der Küche der Mächtigen (sinngemäße Zitate), die ich mir jeweils in kursiv kurz zu kommentieren erlaube:
- "Man soll die Polizei nicht unter Generalverdacht stellen, denn 96 -98 % der Beamt*innen wussten nichts." Verschiebung der Schuld auf diejenigen, die die Skandale aufgedeckt haben ("Generalverdacht")
- "Rassismus ist kein spezifisches Polizeiproblem und kommt in vielen Vereinen vor. Dort wirft man die, die sich im Ton vergreifen, auch nicht raus." Polizei ist nicht irgendein Verein, sondern sie soll den Rechtsstaat vertreten, aus dem ich nicht austreten kann wie aus einem Verein, dessen Tendenz mir nicht passt. Eine solche Aussage zeugt von organisierter Verantwortungslosigkeit.
- "Bei den Vorgesetzten fehlte wohl der Mut, die Missetäter zu maßregeln". Entschuldigende, verniedlichende Bewertung des Komplett-Versagens der Vorgesetzten (wie war denn deren Einstellung zu dem Thema? Motto: der Fisch stinkt vom Kopf her.)
- "Der Landesvater persönlich hat die Hanauer Familien besucht." Im Falle der Ermordung von Halit Yozgat hat der jetzige Landesvater und damalige Innenminister mit Zurückhaltung von Ermittlungsunterlagen die Aufklärung verhindert. Die Bezeichnung "Landesvater" in diesem Zusammenhang zu benutzen, soll positive Emotionen wecken und verschleiert die mangelnde Bereitschaft zur Transparenz. Ich empfinde das als zynisch.
- "Jeder Fall, der entdeckt wird, wird verfolgt." Eine Bemerkung, die als Schlaftablette die Erinnerung vernebeln soll, dass im Falle der Weitergabe persönlicher Daten von Başay-Yıldız, aber auch von Janine Wissler und der Berliner Kabarettistin Idil Baydar die Urheber eben nicht verfolgt wurden. (Nur zufällig wurde inzwischen jemand entdeckt, dessen Urheberschaft, aber auch dessen mögliche Verstrickung mit dem Polizeiapparat noch nicht bewiesen ist.) Im Falle der Hamburger Pimmel-Affäre, bei der sich ein Politiker beleidigt fühlte, stand übrigens bereits zwei Tage später ein SEK vor der Tür des Internet-Täters! Es geht!
- "Nicht jeder, der bestimmte Bilder verschickt, ist Rechtsextremist." Alles nicht so schlimm. Es wird ja wirklich auch alles so übertrieben! Abwiegeln, Nivellieren, Verantwortung verschieben.
- "91 % der befragten Polizeibeamt*innen stimmten rechtsextremen Aussagen nicht zu, in der Gesamtbevölkerung waren das bei einer Umfrage nur 63 %." Bluffen mit Zahlen, ohne die Modalitäten der Befragung zu erläutern. Mit welchen vorbereitenden Informationen wurde diese Befragung denn eingeleitet? Wie wurde gefragt? Welche mehr oder weniger suggestiven Antworten standen zur Auswahl?
Mein Fazit: Eine einzige rechtsextremistisch eingestellte Person bei der Polizei ist bereits viel zuviel! Bleiben wir wachsam! Verlangen wir weiterhin als Unmächtige Aufklärung und Verhaltensänderung!
Marianne Friemelt