Hessen gilt als Hotspot rechtsextremer Taten, doch der Prozess um den Mord an Walter Lübcke brachte wenig Licht in diesen rechten Sumpf. Esther Bejarano, Überlebende des KZ-Auschwitz, warnte davor, den rechten Terror nicht richtig ernst zu nehmen.
Seit Jahren fällt Hessen durch rechtsextreme und rassistische Aktivitäten auf: Die Morde in Hanau und am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Verbrechen des NSU und die aktuellen Bedrohungen durch den NSU 2.0. Letzte Woche nun erfolgte das Urteil im Prozess um die Tötung von Walter Lübcke. Dieser Prozess und das Urteil vom 28. Januar, Stephan Ernst erhielt zwar lebenslange Haft, sind aber insgesamt sehr unbefriedigend.
Brauner Morast blieb im Dunkeln
Da sie nicht explizit Gegenstand der Anklage waren, wurden systematisch dabei der rechtsextreme Untergrund sowie die rassistischen Netzwerke und Milieus ausgeblendet, die diesen rechten Terror ermöglicht haben. Zwar erhielt Ernst wegen der Schwere der Tat das höchste Strafmaß mit lebensanger Haft, die auch nicht nach 15 Jahren ausgesetzt werden kann, doch im Kampf um die Grundrechte und die Verteidigung unserer Demokratie bleibt für die NaturFreunde die Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Mord vor Gericht nicht zufriedenstellend. Vom Mordversuch an dem Iraker Ahmed I. im Jahr 2016 wurde Ernst sogar freigesprochen. Ein weiterer Skandal ist der Freispruch des Neonazis Markus H. vom Vorwurf der „Beihilfe zum Mord“. Das Gericht verurteilte ihn lediglich wegen illegalem Waffenbesitz zu einer kleinen Strafe.
Esther Bejarano, Shoah-Überlebende, sprach zum Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz einen Kommentar in den Tagesthemen der ARD, der auch online zur Verfügung steht (siehe nebenstehenden Link). Die 96-Jährige, deren Familie im Konzentrationslager ermordet wurde, mahnte vor allem die Jugend, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, damit diese sich nicht wiederhole. „Aus Worten werden Taten, wir wissen das“, sagte sie. Wieder würden Naziparolen gegrölt, Synagogen angegriffen, Rechtsextreme säßen in Parlamenten und Todeslisten kursierten. Abermals forderte Esther Bejarano, den 8. Mai als Tag der Befreiung zum Feiertag zu erklären, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert wird. Diese Forderung stellen auch die hessischen NaturFreunde (Beschluss der Landeskonferenz von 2019) und dazu existiert eine Petition mit bereits über 122 000 Unterschriften, die man noch unterschreiben kann (Link nebenan). Das Ziel lautet nämlich, 150 000 MitstreiterInnen dafür zu gewinnen.
Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages sollte jetzt das leisten, was der Prozess um den Mord an Walter Lübcke nicht erbracht hat, nämlich Licht in die nordhessische Neonaziszene bringen. Zudem besteht weiterhin Klärungsbedarf, was die Rolle der hessischen Sicherheitsorgane vor allem die des Verfassungsschutzes anbelangt.
Ulla Wittig-Goetz